Ralf Forster präsentiert Tönende DEFA-Heimfilm-Klassiker von Jürgen Hergot
Für DDR-Hobby-Cineasten gab es ein fast unlösbares Problem: Wie kommt der Ton auf den Film? Wie wird der stumme Schmalfilm zum echten Heimkinoerlebnis? Der Berliner Jürgen Hergot war einer von diesen "Filmverrückten", begann 1972 16jährig mit der Super 8-Kamera zu drehen und kaufte DEFA-Heimfilme im Fotoladen. Doch erst 1985 wurde sein Traum vom eigenen Tonfilm Wirklichkeit. Beziehungen halfen beim Erwerb von "Westtechnik", eines Projektors mit Magnetton. Ein kleines Studio in Sachsen wurde ausfindig gemacht, das die Tonspur auf den Film kleben konnte. Jürgen Hergot begann nun, aus industriell gefertigten Kauffilmen individuelle Super 8-Kopien mit Magnetton herzustellen.
Kurzfassungen von DEFA-Klassikern wie "Der schweigende Stern" (1960) oder "Blutsbrüder" (1975) erlebten eine akustische Aufwertung, neben (vom Fernseher aufgenommenen) Originaltönen und schrillen Musikpassagen im Kolorit der 1970er mischte Hergot auch seinen eigenen Kommentar hinzu. Zum "ökologischen" Trickfilm "Bungalows" gesellten sich populäre DDR-Schlager und Vogellaute, zum wohl gelungensten Gustav-Serienfilm "Gustav und die Entspannung" eine stilgerechte Kriminalmusik und passende Geräusche. Und in zwei der hitverdächtigen Folgen "Hase & Wolf" kam der Laien-Tonmeister nicht umhin, sie mit den originalen Erkennungszeichen - dem "Hu pogodi" des Bösewichtes - auszustatten.
Seine 8-min-Fassung des Historienfilms "Die Abenteuer des Till Ulenspiegel" (1957) geht noch einen Schritt weiter. Um den 1959 verstorbenen französischen Schauspieler Gerard Philipe, der in dem DEFA-Spielfilm Hauptrolle und Regie übernommen hatte, angemessen zu würdigen, integrierte Hergot selbst Gedrehtes: Fotos und Schreibmaschinentexte geben über Philipes Biografie Auskunft. Etwas hilflos wirkt hingegen das Entree von "Der schweigende Stern": um die Inspiration des utopischen Films zu bebildern, schweift die Kamera Hergots über karge Braunkohlelandschaften.
Die von Ralf Forster aufgefundenen Heimfilme sind Unikate der besonderen Art, in Serie Gefertigtes verbindet sich mit privat Intendiertem. Die Filme fügen sich ein in die DDR-typische Kultur der Improvisation: Tüftler und Bastler wie Jürgen Hergot haben aus dem Wenigen oft Brauchbares hervor gebracht, unvollkommene Industrieprodukte zu gerne benutzten Alltagsbegleitern aufgepeppt. Auch deshalb gereichen die mit heutigen Soundqualitäten nicht vergleichbaren Kopien zu charmanten Gegenstücken der glatten westdeutschen Super 8-Filme aus dem Kaufhaus.
Jürgen Hergot ist seinem Hobby bis heute treu geblieben, er hat nur das Format gewechselt, dreht seit 1990 auf Video und ist begeisterter Anhänger der DVD. R.F.
Programmfolge:
Hase und Wolf auf der Autobahn 1971/1978, Sojusmultfilmstudio Moskau, um 6 min, Farbe
Gerard Philipe: Till Ulenspiegel - Die Jagd auf dem Eis (aus: "Die Abenteuer des Till Ulenspiegel"), 1957, DEFA-Studio für Spielfilme coprod. Ariane Paris, um 8 min, s/w
Gustav und Weihnachten (OT: "Gustav und die Entspannung") 1967, Pannonia-Studio für Animationsfilm Budapest, um 6 min, s/w
Waldeinsamkeit (OT: "Bungalows") 1976, DEFA-Studio für Trickfilme, um 6 min, Farbe
Blutsbrüder (Episoden aus dem gleichnamigen DEFA-Spielfilm) 1975, DEFA-Studio für Spielfilme, um 14 min, s/w
Gustav - das Krimiopfer 1970, Pannonia-Studio für Animationsfilm Budapest, um 6 min, s/w
Hase und Wolf beim Fernsehen 1976, Sojusmultfilmstudio Moskau, um 6 min, Farbe
Der schweigende Stern (Episoden aus dem gleichnamigen DEFA-Spielfilm) 1960, DEFA-Studio für Spielfilme, um 17 min, s/w
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