Festivalmotiv

DORE O. Freitag 22. März 2019 19.00 Uhr

Kuration: Masha Matzke, Filmwissenschaftlerin, Kuratorin und Filmarchivarin an der Deutschen Kinemathek; Organisation: Sabine Kues

*Ein Programm aus dem Archiv der Deutschen Kinemathek

Die Filme der Künstlerin Dore O. (geb. 1946 in Mülheim an der Ruhr) scheinen eine gewisse Einzigartigkeit gegenüber den vorherrschenden Strömungen des Deutschen Experimentalkinos zu beanspruchen. So schrieb der Kritiker Dietrich Kuhlbrodt bereits 1988: “Das Werk der Filmkünstlerin aus Mülheim ist klassisch geworden, aufgenommen in die internationale Avantgarde. [...] Dore O. hat sich ihre Unabhängigkeit auch innerhalb des unabhängigen Films bewahrt. Sie hat die Zeit der Coops erlebt, den Frauenfilm, die Strukturalisten und Grammatiker, die Lehrer neuer Sehweisen. Sie war Zeitgenossin, und doch erscheint ihr Werk zeitlos, nämlich gegenwärtig und unmittelbar attraktiv.”

Die Originalität und poetische Kraft ihrer Arbeit wird heute umso deutlicher, als vorherrschende Dogmen wie jene des politischen, feministischen oder strukturellen Films und deren Vorbehalte eines trivialen Ästhetizismus ihre unangetastete Geltung verloren haben. Ihre der bildenden Kunst und Poetik entlehnte Filmsprache widmet sich einer bildhaft erlebten und sinnlich begriffenen Wirklichkeit, einer steten Bildwerdung und -modulation. Dieser assoziative, vorbewusste Fluss von Bildern und Klängen fordert in seiner exponierten Sinnlichkeit rein verbale oder intellektuelle Register der Interpretation heraus. Zwischen innerer Versenkung und bewusster Wahrnehmung oszillierend wird eine rhythmische Orchestrierung von Hypnose und Klarheit, von Transparenz und Opazität, von Inner- und Äußerlichkeit, von Stillstand und Bewegung, von konträrer Stofflichkeit spürbar. In Opposition zu den Formalismen ihrer Zeitgenossen zeugen ihre Filme dennoch von einer unaufhörlichen Auseinandersetzung mit der zweidimensionalen Bedingtheit des kinematografischen Bildes in Gestalt einer filmischen Realität, die in mehrschichtigen Tableaus durch das Gegenspiel von Tiefe und Flächigkeit und multiplen innerbildlichen Rahmungen erfahren und festgehalten wird. Über das rein Persönliche des »personal« oder »diary film« hinausgehend vereitelt ihre intime Filmpoetik, die ähnlich der Filme von Maya Deren oder Stan Brakhage die Realität durch den poetischen Ausdruck ihrer eigenen Emotionen darstellt, eindeutige Klassifizierungen. Reiseaufnahmen und Material aus dem Privatleben ihrer Ehe mit Werner Nekes treffen auf sorgfältig komponierte Bildschichtungen, Juxtapositionen und eingeschnittene Sequenzen geheimnisvoller Bildmetaphern. Wie in  keinem anderen Werk des deutschen Experimentalfilms zeugt ihr Oeuvre von der Remobilisierung einer der Geschichte des Avantgardefilms eingeschriebenen Trajektorie, derzufolge die malerischen, grafischen und poetischen Konzeptionen des filmischen Mediums zusehends in eine distinktiv filmische Formensprache überführt wurden, und schließlich jene dem Medium genuinen Abstraktionen als Mittel für den Ausdruck neuer Modi von Subjektivität und Bewusstszuständen dienten. Diese gleichsam persönliche und überaus enigmatische Poetik ist untrennbar mit einer formalen Exploration des filmischen Bildes und des Visionären verbunden. Als erste weibliche Filmemacherin gewann Dore O. den großen Preis beim 5. Internationalen Experimentalfilmwettbewerb in Knokke (Belgien) für ihren Film KASKARA. Das Musikalische ihrer visuellen Stratifizierungen zieht sich bis in ihr filmisches Spätwerk (XOANON). Über vier Jahrzehnte lang studierte Dore O. in den Schichten des Zelluloids das Wesen und die Empfindungen ihres ins Phantomhafte verkehrte Selbst und ihrer Akteure, “um neue Architekturen von alten Formen - wie etwa Fenster, eine Tür, ein Mann - zu kreieren.” (Dore O.) 

Filmprogramm
ALASKA
16mm / 18min / Farbe / 1968 / Ton: Dore O.
Ein Emigrationsfilm: Traum meiner selbst, Konsequenz aus dem Akt mit der Gesellschaft.” (Dore O.)
LAWALE
16mm / 30min / Farbe / 1969 / Kamera: Jochen Gottlieb / Ton: Dore O.
Die Erinnerung ist eine grausame Hoffnung ohne Erwachen.“ ( Dore O.)
KASKARA
16mm / 21min / Farbe / 1974 / Ton: Anthony Moore / mit: Werner und Rona Nekes
Balance des Eingeschlossenseins im  zerbrochenen Raum.“ ( Dore O.)
XOANON
16mm / 11min / Farbe / 1994 / Kamera: Serge Roman, Dore O. / Ton: Peter Eisold / mit: Afrane Adje Twumm, Ricardo Mosquera
Xoanon thematisiert in der Verschränkung von innen und außen den Ort, der Ursprung und Ziel der Bilder ist, als einen Raum, in dem sich Ansichten, Aussichten, Aufsichten und Durchsichten ineinander verschachteln und verspiegeln und das Bild als Moment inmitten eines Labyrinths von Projektionen, Reflexionen und Visionen erscheint, in denen sich die Grenzen unaufhörlich brechen.” (Karin Stempel)

 

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Filmstill: Kaskara

Filmstill: Alaska